Die Technik des Focus-Stacking
Präzision im Detail
Warum Focus-Stacking?
Besonders in der Makrofotografie stellt die geringe Schärfentiefe eine Herausforderung dar, da nur ein kleiner Bereich des Motivs gleichzeitig scharf abgebildet wird, während Vorder- und Hintergrund unscharf erscheinen. Dies ist ein physikalisches Phänomen, das besonders bei Nahaufnahmen stark ausgeprägt ist und selbst durch Abblenden der Kamera nicht vollständig behoben werden kann.
Die Technik des Focus-Stacking löst diese Problematik und ermöglicht es, ein Objekt durchgängig scharf abzubilden. Das Ergebnis sind Aufnahmen von außergewöhnlicher Detailtiefe und Klarheit – ein wesentliches Merkmal meiner künstlerischen Arbeit.
Wie funktioniert Focus-Stacking?
Der Prozess läuft in mehreren Schritten ab:
Aufnahme der Bildserie: Ich fertige mehrere Aufnahmen desselben Motivs mit minimal verschobener Fokusebene an. Dabei bleibt die Kameraposition unverändert, nur der Fokuspunkt wird für jedes Bild leicht verschoben.
Zusammenführung: Die Einzelaufnahmen werden anschließend digital zu einer Aufnahme mit durchgehender Schärfe verschmolzen ("gestackt"). Spezielle Software analysiert jedes Bild und übernimmt nur die scharfen Bereiche, um sie zu einem vollständig scharfen Gesamtbild zusammenzufügen.
Je näher ich mit der Kamera am Motiv bin, desto kleiner wird der Bereich, der scharf abgebildet wird. Besonders bei sehr kleinen Pflanzendetails, aber auch bei voluminösen Objekten ist Focus-Stacking daher essenziell. In manchen Fällen sind nur wenige Aufnahmen nötig, in anderen können es 100 oder mehr sein, um das gesamte Objekt in seiner vollen Detailtiefe abzubilden.
Beispiele aus meiner Arbeit
Einen besonders anschaulichen Vergleich bietet der Fliegenpilz in der Nahaufnahme. Ohne Focus-Stacking ist entweder nur der vordere oder nur der hintere Bereich scharf. Durch das Zusammenrechnen vieler Einzelbilder entsteht ein durchgängig scharfes Bild mit beeindruckender Detailtiefe.
Ohne Focus-Stacking ist der Fliegenpilz in der Nahaufnahme entweder im vorderen Bereich (bei den Lamellen) oder im hinteren Bereich scharf.
Durch das Zusammenrechnen (Focus Stacking) vieler Einzelbilder entsteht das durchgängig scharfe Bild. Die Erdkrümel habe ich in diesem Fall am Pilz belassen, da sie auch in der Natur typischerweise auf dem Hut zu finden sind.
Ein weiteres Beispiel ist diese Anemonenblüte, bei der durch das Focus-Stacking sowohl die feinen Staubgefäße im Zentrum als auch die Kronblätter in ihrer gesamten Tiefe scharf abgebildet werden konnten. Für diese Aufnahme waren 54 Einzelbilder erforderlich. Hätte ich den Stängel ebenfalls scharf abbilden wollen, wären zahlreiche weitere Aufnahmen nötig gewesen. Dieses unscharfe Detail erhöht jedoch die Präsenz der Blüte.
Die technische Umsetzung in meinem Studio
Für präzises Arbeiten benötige ich eine stabile Ausrüstung:
Eine Nikon D850, vorwiegend kombiniert mit einem 105 mm Nikkor Makroobjektiv
Einen stabilen Kameraaufbau mit Stativ und Getriebeneiger für millimetergenaue Anpassungen
Einen "Magic Arm" zur sicheren und dennoch flexiblen Positionierung der Pflanzen
Die Herausforderung besteht nicht nur in der präzisen Aufnahme, sondern auch in der Vorbereitung der Pflanzen. Je kleiner die Strukturen sind, desto akribischer muss das Objekt vorbereitet werden, da auch kleinste Verunreinigungen oder Flusen in der vergrößerten Darstellung sichtbar sind.
Mein kleinstes "Werkzeug" ist daher die Spitze einer Akupunkturnadel, mit der ich kleine Pflanzendetails präparieren kann. Für die sorgfältige Reinigung und Positionierung der Pflanzen verwende ich eine Vielzahl an Hilfsmitteln aus dem Baumarkt-, Medizin- und Künstlerbedarf.
Diverse Hilfsmittel aus Baumarkt, Medizin- und Künstlerbedarf
Mein kleinstes „Werkzeug“ ist die Spitze einer Akupunkturnadel
Von der Herausforderung zur Erfahrung
Der Prozess des Focus-Stackings erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch viel Geduld und Erfahrung. Mit jeder Pflanze ergeben sich neue Herausforderungen:
Manche Pflanzen bewegen sich leicht während der Aufnahme, was zu Unschärfen führen kann.
Zarte Blüten welken schon nach kürzester Zeit im Studiolicht, was ebenfalls zu fehlerhaften Ergebnissen führt.
Glänzende oder transparente Oberflächen können problematisch für die Software sein,
…genauso wie haarige oder filigrane Strukturen besondere Sorgfalt erfordern.
Mit der Zeit habe ich gelernt, diese Herausforderungen zu meistern. Eine wichtige Erkenntnis war für mich, dass selbst kleinste Bewegungen der Pflanze das Ergebnis beeinträchtigen können. Daher lasse ich frisch gesammelte Pflanzen kurz akklimatisieren und verwende bei Bedarf spezielle Halterungen, um sie in der gewünschten Position zu halten.
Zeitaufwand und Ergebnis
Der Aufwand kann von der Vorbereitung der Pflanze bis zur fertigen Focus-Stacking-Aufnahme zwischen 30 Minuten und über einer Stunde betragen, abhängig von der Empfindlichkeit und Komplexität des Motivs und der Anzahl der benötigten Einzelaufnahmen. Hinzu kommt die Zeit für die digitale Nachbearbeitung, die ebenfalls zwischen einer und mehreren Stunden pro Motiv in Anspruch nehmen kann.
Doch das Ergebnis rechtfertigt diesen Aufwand: Es entstehen Bilder mit einer Detailtiefe und Klarheit, die es ermöglichen, selbst kleinste Strukturen zu entdecken, die sonst verborgen blieben – ein wesentliches Anliegen meiner künstlerischen Arbeit.
Die Verbindung zur botanischen Tradition
Die Technik des Focus-Stackings ermöglicht es mir, eine Brücke zwischen traditioneller botanischer Illustration und moderner Fotografie zu schlagen. Während botanische Zeichner früherer Jahrhunderte mit Pinsel und Feder arbeiteten, um alle Details einer Pflanze darzustellen, nutze ich digitale Technologie, um ein ähnliches Ergebnis zu erzielen: die vollständige und detailgetreue Darstellung der pflanzlichen Vielfalt.
In diesem Sinne steht meine Arbeit in einer langen Tradition der botanischen Dokumentation und Kunst – mit den Mitteln unserer Zeit.